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Eine Begegnung des französischen Diplomaten und des preußischen Königs auf der Emser Kurpromenade wird der letzte Tropfen in einem lange schwelenden Konflikt sein. Ein paar Zeilen aus dem Telegrammbericht darüber finden ihren Weg in die preußische Presse und lassen Frankreich keine Wahl ? nach dieser Brüskierung muss es Krieg geben. Autorin: Fiona Fischer Credits Autorin dieser Folge: Fiona Rachel Fischer Regie: Irene Schuck Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Andreas Neumann Technik: Ursula Kirstein Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview: Dr. Ulf Morgenstern, Otto-von-Bismarck-Stiftung
Literaturtipp:
Otto von Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Autobiographie. Köln 2015. Enthält eine subjektive Schilderung der Ereignisse um die Emser Depesche nach Ansichten Bismarcks und ist eine wichtige Quelle für seine Politik.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Musik 1
"Cutting" - Album: The Outfit (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Alexandre Desplat - Länge: 0'38
SPRECHER 2:
„Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisieren, sofort zu telegraphieren, dass ich für alle Zukunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur zurückkämen…“
ERZÄHLERIN (darüber):
Es ist der Abend des 13. Juli 1870. In Ems im ehemaligen Herzogtum Nassau neigt sich für die Reichen und Edlen aus den deutschsprachigen Landen ein erholsamer Kurtag dem Ende zu.
SPRECHER 1:
Was jedoch seine Majestät Wilhelm I. mit lautem Klicken gerade nach Berlin telegrafieren lässt, wird die Ordnung in Europa auf den Kopf stellen und so manchen kurenden Adeligen seinen Titel kosten.
Musik 2
"Charles and Sophia Suite" - Komponist: Hugo De Chaire - Album: Crooked House (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'9
ERZÄHLERIN:
Es ist ein Drama der Diplomatie.
O-TON 1:
Aus so einer ganz kleinen Episode, die sich in einem Kurbad zwischen dem älteren, etwas kränklichen Mann und einem forschen französischen Botschafter abspielt, wird ein großer Krieg, an dessen Ende das eine Land seine Regierung verliert und das andere Land eine ganz neue Gestalt annimmt, nämlich ein Zusammenschluss von deutschen Staaten zu einem Kaiserreich.
ERZÄHLERIN:
Dr. Ulf Morgenstern von der Otto-von-Bismarck-Stiftung. Es ist ein Telegramm, das all das ins Rollen bringen wird.
Musik 3
"Charles and Sophia Suite" - Komponist: Hugo De Chaire - Album: Crooked House (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'9
SPRECHER 2:
Erster Akt: Die Schlinge.
SPRECHER 1:
Frankreich und „Deutschland“ stehen Stirn an Stirn miteinander.
ERZÄHLERIN:
Wie eigentlich schon seit Jahrhunderten.
O-TON 2:
in der Erinnerung der Zeitgenossen Bismarcks, also im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, gab es eigentlich seit 350 Jahren permanent irgendwie Kämpfe mit Frankreich.
Musik 4
"Hypertension" - Komponist: Nicholas Britell - Album: If Beale Street Could Talk (Original Motion Picture Score) - Länge:
ERZÄHLERIN:
Ende der 1860er Jahre ist der deutschsprachige Raum zersplittert in große und viele kleinere Staaten, in Königreiche, Großherzog- und Fürstentümer. „Deutschland“ ist nur ein Begriff in den Köpfen; von einer geeinten „Nation“ ist man noch weit entfernt.
Die Monarchen wollen ihre Macht nicht an solch ein geeintes Deutschland verlieren. Diese einzelnen Staaten ringen um Macht, hauptsächlich das Königreich Preußen und das Königreich Österreich. Doch nach dem sogenannten Bruderkrieg 1866 verschieben sich die Machtverhältnisse deutlich.
SPRECHER 2:
Das pickelhäubige Preußen schlägt seinen südlichen Bruder.
O-TON 3:
Und was macht dieser Sieger? Dieser Sieger sichert sich eine Kriegsbeute in Deutschland, indem er einzelne deutsche Staaten okkupiert und in seinen Machtbereich einfach eingliedert, die auf der Seite Österreichs gestanden haben. Das ist zum Beispiel das Königreich Hannover, das ist seitdem verschwunden. Das ist schon ein Paukenschlag damals gewesen, dass ein Königreich ein anderes Königreich einfach schluckt, und damit ja eigentlich diesen monarchischen Gedanken, wonach die alle von Gott eingesetzt sind und legitimiert sind, ziemlich beiseite wischt unter machtpolitischen Gesichtspunkten zack, da ist dieser König von Hannover halt verschwunden. Und das geht auch mit einem Monarchen in Hessen so, die freie Reichsstadt Frankfurt wird von Preußen geschluckt. Also Preußen ist innerhalb Deutschlands auf einmal viel größer geworden
ERZÄHLERIN:
Und seinen Nachbarn, allen voran dem mächtigen Frankreich, gefallen diese Entwicklungen gar nicht.
O-TON 4:
Denn auf einmal entsteht da in der Mitte Europas ein riesengroßer starker preußischer Staat. Und Preußen ist dafür bekannt, als Staatsmaschinerie sehr effizient zu arbeiten, ein sehr effizientes Militär zu unterhalten und so weiter. Und diese ganzen neuen Bürger, die es da gewinnt, in etwa meinetwegen im Königreich Hannover, das sind ja auch potenziell neue preußische Soldaten.
ERZÄHLERIN:
Schon nach Beendigung des Bruderkrieges ist klar, dass ein Konflikt mit Frankreich wohl kaum ausbleiben wird.
Musik 5
"Mount Saint Helens: i resurgee (march1-may 17, 1980)" - Komponist: Timba Harris - Album: neXus I: Cascadia - Länge: 0'15
SPRECHER 1:
Revanche pour Sardova! Revanche pour Sardova! Revanche pour Sardova!
ERZÄHLERIN (darüber):
– Rache für Sardowa, also für den preußischen Sieg über Österreich beim böhmischen Sardowa und Königgrätz, das fordern einige französische Politiker seitdem lautstark.
SPRECHER 2:
Ich nahm als sicher an, daß der Krieg mit Frankreich aus dem Weg zu unserer weiteren nationalen Entwicklung, sowohl der intensiven als der über den Main hinaus extensiven, notwendig werde geführt werden müssen, und daß wir diese Eventualität bei allen unseren Verhältnissen im inneren wie nach außen im Auge zu behalten hätten.
ERZÄHLERIN:
So der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck in seinen Memoiren „Gedanken und Erinnerungen“. Zum Schutz „Deutschlands“ gegen Frankreich schmiedet er im Jahr 1866 für Preußen mit den süddeutschen Staaten, also Bayern, Württemberg und Baden, die „Schutz- und Trutzbündnisse“. In einem Kriegsfall würden ihre Armeen gemeinsam unter preußischem Befehl gegen Angreifer kämpfen. Diese Bündnisse bleiben allerdings zunächst geheim. Der preußische Ministerpräsident macht die Einigung der deutschen Staaten an einem potentiellen Krieg fest, nach dem auch in Frankreich gerufen wird. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein geeigneter Anlass auf die Bühne kommt und das Drama seinen Lauf nimmt.
Musik 6:
"Mount Saint Helens: i resurgee (march1-may 17, 1980)" - Komponist: Timba Harris - Album: neXus I: Cascadia - Länge: 0'15
SPRECHER 1 (alarmiert):
Militärputsch in Spanien! Militärputsch in Spanien!
ERZÄHLERIN:
Die Absetzung der spanischen Königin Isabella II. hinterlässt einen vakanten Thron und eine Gelegenheit für die europäischen Adelsdynastien. Besonders interessiert an den Geschehnissen:
SPRECHER 1:
Napoleon, III. Kaiser der Franzosen und Nachbar Spaniens. Der spitzbärtige Neffe des berühmten Napoleon Buonaparte, der die riesigen Fußstapfen seines Onkels mit Prachtbauten in Paris und Kolonialerfolgen in Nordafrika auszufüllen weiß.
O-TON 5:
Er ist im Wortsinne als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Der ist innenpolitisch ziemlich schwach, weil er eben zunächst mal gewählt war, als Präsident und sich dann selbst zum Kaiser gemacht hat und jedenfalls sehr von der Gunst des Parlaments […] in Frankreich abhängig ist. Und er kompensiert diese innenpolitische Schwäche durch wirklich lautstarkes Säbelrasseln nach außen. Seiner Meinung nach soll Frankreich wieder so mächtig werden wie zu Zeiten seines berühmten Namensvetters Napoleon. Und dieser Gedanke ist natürlich ein absoluter Gegensatz dazu, dass in der Mitte von Europa Preußen auf einmal so stark wird.
ERZÄHLERIN:
Auf der anderen Seite dieses Interessenkonflikts: König Wilhelm I. von Hohenzollern, König des erstarkten Preußens.
SPRECHER 2:
Wilhelm I., von den Revolutionswirren in Frankreich traumatisiert und eigentlich nicht als König vorgesehen. Doch als sein Bruder erkrankt, übernimmt er 1862 den Thron. Damals ist er schon Mitte 60 und im Jahre 1870 in den Augen seiner Zeitgenossen ein alter Mann mit grauem Backenbart.
ERZÄHLERIN:
Als sich also die Generäle Juan Prim und Francisco Serrano Domínguez im Namen Spaniens auf die Suche nach einem König machen, der ihre neue konstitutionelle Monarchie anführt, horchen diese Monarchen in Frankreich und Preußen auf.
SPRECHER 2 (ein bisschen stolz):
Auftritt Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen.
ERZÄHLERIN:
Denn es ist ausgerechnet ein Prinz aus der katholischen Linie des Preußischen Königshauses, dem von den spanischen Generälen das Amt angeboten wird.
SPRECHER 1 (augenrollend):
Der gutaussehende Jungspund aus Süddeutschland hat den Auftritt seines Lebens.
O-TON 6:
Und der liebäugelt am Anfang auch erst mit dieser Idee, denn zu Spanien gehört damals noch ein Weltreich dazu. Und Hohenzollern-Sigmaringen ist nun wirklich ein absolutes nachgeordnetes kleines Geschlecht. Das wäre also für die der ganz große Wurf, wenn das klappen würde.
SPRECHER 1:
Doch Frankreich würde in der Falle sitzen, mit einem Hohenzollern als Herrscher im Osten und im Westen.
Musik 7:
"Hypertension" - Komponist: Nicholas Britell - Album: If Beale Street Could Talk (Original Motion Picture Score) - Länge: 0'34
SPRECHER 2 (händereibend):
Die Schlinge zieht sich immer weiter zu.
ERZÄHLERIN:
Am 19. Juni 1870 erklärt Prinz Leopold sich bereit, sich für den spanischen Thron zur Wahl zu stellen.
SPRECHER 2:
Mit der Erlaubnis des Dynastieoberhauptes, Wilhelm I..
ERZÄHLERIN:
Nun wäre es an der spanischen Ständeversammlung, einen neuen König zu ernennen. Am 20. Juli soll das geschehen.
Musik 8
"Charles and Sophia Suite" - Komponist: Hugo De Chaire - Album: Crooked House (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'9
SPRECHER 1:
Zweiter Akt. Das Telegramm.
ERZÄHLERIN:
Anfang Juli, 1870. Es ist die Zeit der königlichen Kur, die Wilhelm von Hohenzollern seit der Einverleibung des Herzogtums Nassau jährlich in Ems an der Lahn verbringt. Die wohlhabenden Gäste verbringen ihre Tage damit, das örtliche Heilwasser zu trinken und auf der Kurpromenade zu flanieren.
SPRECHER 1:
Dorthin schickt Napoleon III. nun seinen Botschafter, Graf Vincent Benedetti.
O-TON 7:
Also Benedetti ist der französische Botschafter in Berlin und damit eine der wichtigsten diplomatischen Figuren auf dem europäischen Kontinent und mit Sicherheit in der hohen politischen Kapazität. Das Problem ist, er hat einen etwas ungezügelten und wilden Chef in Paris, nämlich den französischen Kaiser. Die Regierung fordert von ihm Dinge, die eigentlich nur umzusetzen sind, wenn man diese diplomatische Kontenance und Zurückhaltung und das Antichambrieren etwas zurückstellt und forsch auftritt.
ERZÄHLERIN:
Nach mehreren Audienzen in Ems hat er den preußischen König endlich überzeugt, die Kandidatur von Hohenzollern-Prinz Leopold zu unterbinden.
SPRECHER 1 (drohend):
Sinon, c’est la guerre. Ansonsten gibt es Krieg.
ERZÄHLERIN:
Am 12. Juli verkündet Leopolds Vater Karl Anton den Verzicht seines Sohnes. Damit sollte die Geschichte eigentlich ein Ende haben.
SPRECHER 1:
Doch Frankreich fühlt sich dadurch noch nicht ganz in Sicherheit.
ERZÄHLERIN:
Am selben Abend erhält Benedetti per Telegramm den Auftrag, König Wilhelm noch einmal aufzusuchen. Am 13. Juli spricht er bei dem preußischen Monarchen vor, doch der ist bereits zu seinem vormittäglichen Flaniergang auf die Emser Kurpromenade aufgebrochen. Benedetti eilt ebenfalls dorthin, erblickt den König und spricht ihn einfach an.
Musik 9:
"Nanny Corpse" - Komponist: Crooked House (Original Motion Picture Soundtrack) - Album: Crooked House (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'28
SPRECHER 1 (heftig):
Für alle Zeiten soll das Geschlecht der Hohenzollern auf den spanischen Königsthron verzichten. Und Ihre Majestät, König Wilhelm, soll sich verpflichten, diesen Verzicht durchzusetzen!
SPRECHER 2 (empört):
Zuerst einmal hat der König höchstselbst zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Nachricht dazu erhalten, dass Leopold tatsächlich seine Kandidatur zurückgezogen habe. Und er sei des Weiteren weder befugt noch willens derartige Versprechen zu machen!
O-TON 8:
Da muss sich natürlich so ein Monarch in seiner Ehre gekränkt fühlen, denn er kann ja nicht für alle seine Nachfolger in der Zukunft eine politische Option kategorisch ausschließen. Er will das einfach nicht, das verletzt sein Machtgefühl, sein Ehrgefühl, seine Souveränität.
ERZÄHLERIN:
Etwas später wird nun auch dem preußischen König mitgeteilt, dass die Kandidatur der Hohenzollern aufgehoben sei. Er setzt Graf Benedetti darüber in Kenntnis und schickt einen Mitarbeiter an, seine Regierung in Berlin über die unschöne Begegnung mit dem französischen Botschafter zu unterrichten.
SPRECHER 2:
Heinrich Abeken, preußischer Geheimrat, bekannt als die „Feder Bismarcks“, setzt nun dieses Schreiben für den König auf.
O-TON 9:
Der war ziemlich langweilig als Typ, aber extrem beflissen als diplomatischer Mitarbeiter. Das sind vielleicht Charaktereigenschaften, die sich nicht ausschließen, sondern sogar bedingen. Und der ist derjenige, der diese berühmte Emser Depesche formuliert. Und er beschreibt das sehr drastisch.
Musik 10
"Cutting" - Album: The Outfit (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Alexandre Desplat - Länge: 0'24
SPRECHER 2 (pikiert):
Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisieren, sofort zu telegraphieren, daß ich für alle Zukunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur zurückkämen.
O-TON 10:
Wie frech und ungehobelt und eigentlich allen Gepflogenheiten widersprechend dieser Benedetti auf den König zugegangen sei. Es passt aber eigentlich nicht zu dem ruhigen Typen, zu diesem ganz beflissenen, dauerhaften, fleißigen Schreibtischarbeiter.
Musik 11
"Charles and Sophia Suite" - Komponist: Hugo De Chaire - Album: Crooked House (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'9
SPRECHER 2:
Dritter Akt. Der letzte Tropfen.
ERZÄHLERIN:
Berlin, der Abend jenes 13. Juli 1870. Im Speisezimmer diniert der preußische Ministerpräsident soeben mit zwei Generälen, als das Telegramm – die Emser Depesche – eintrifft.
SPRECHER 2:
Bismarck, der wegen seiner Monarchietreue, seinen Taktierfähigkeiten und seiner Gerissenheit bis an die Spitze Preußens gekommen ist.
SPRECHER 1 (missbilligend):
Ein Politiker, der für seine Taten zu einem politischen Mythos stilisiert werden wird.
SPRECHER 2:
Nachdem mir die Entzifferung überbracht war, welche ergab, daß Abeken das Telegramm auf Befehl Sr. Majestät redigiert und unterzeichnet hatte, las ich dasselbe meinen Gästen vor, deren Niedergeschlagenheit so tief wurde, daß sie Speise und Trank verschmähten.
ERZÄHLERIN:
So zumindest stellt Bismarck es in seiner Autobiographie dar.
O-TON 11:
Ob sich diese Begebenheit so abgespielt hat, wie es Bismarck schildert, daran gibt es Zweifel von Historikern, die auch andere Erzählungen in seinem Memoirenwerk mit gutem Recht anzweifeln, aber im Ergebnis macht das keinen großen Unterschied.
ERZÄHLERIN:
Denn mit Abekens Vorlage beginnt Bismarck sein eigenes politisches Spiel.
Musik 12
"Cutting" - Album: The Outfit (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Alexandre Desplat - Länge: 0'21
SPRECHER 2:
Seine Majestät stellt Eurer Exzellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedettis und ihre Zurückweisung sogleich sowohl unseren Gesandten als in der Presse mitgeteilt werden sollte?
ERZÄHLERIN:
– so hatte Abeken das Telegramm aus Ems enden lassen. Wie gut, dass der Ministerpräsident gerade die beiden führenden preußischen Generäle, den Kriegsminister Albrecht von Roon und den Chef des Generalstabs Helmuth von Moltke, zu Gast hat. So kann er sich zunächst nach dem Zustand der preußischen Armee erkundigen. Ein Krieg mit Frankreich, für den sei man gewappnet, lautet die Antwort der Militärs.
SPRECHER 2:
In dieser Überzeugung machte ich von der nur durch Abeken übermittelten königlichen Ermächtigung Gebrauch, den Inhalt des Telegramms zu veröffentlichen, und reduzierte in Gegenwart meiner beiden Tischgäste das Telegramm durch Streichungen, ohne ein Wort hinzuzusetzen oder zu ändern.
ERZÄHLERIN:
So schreibt Bismarck in seinen Memoiren.
O-TON 12:
Also er kürzt, mit zwei Intentionen: er will die Hauptmessage zuspitzen und aber gleichzeitig noch ein bisschen anderen Sprengstoff rausnehmen. Abeken hat damit für Bismarck die Steilvorlage geliefert, um den Franzosen eine Provokation über den Rhein hin zuzurufen, als Zeitungsnachricht, der sie nicht mehr aus dem Weg gehen können.
Musik 13
"Preminotion" - Ausführende: Robert Een, Carter Burwell & Hearn Gadbois - Album: Mystery Dances - Komponist: Robert Een - Länge: 0'56
SPRECHER 2 (streng, gereizt):
Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich Französischen Regierung von der Königlich Spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Seine Majestät den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, daß er nach Paris telegraphiere, daß Seine Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe.
ERZÄHLERIN:
So liest man in der preußischen Presse am Morgen des 14. Juli.
SPRECHER 2:
Ein Skandal!
SPRECHER 1:
Ein Affront!
ERZÄHLERIN:
In wenigen Stunden erreicht diese Nachricht auch Paris und den Kaiser der Franzosen.
O-TON 13:
Das ist für die Franzosen eine ganz furchtbare Provokation. Denn für die muss das ja wie Hohn wirken, dass der Botschafter in Preußen, also Benedetti von dem König so abgebügelt wird, der fordert was und beißt komplett auf Granit bei dem König. Und da fühlen sie sich gedemütigt. Also erstens von dem Gesprächsverlauf und Gesprächsergebnis und dann davon, dass die Preußen das einfach veröffentlichen und sagen seht her, so ein einfacher dahergelaufener französischer Botschafter, der kann so nicht einfach mit unserem König umgehen. Und unser König hat das so und so aus der Welt geschafft, so stark sind wir, so schwach sind die Franzosen oder so frech sind die Franzosen. Und diese Provokation hat also in Frankreich so tief gesessen. Und zwar beim Parlament und beim Kaiser.
Musik 14
"Mount Saint Helens: i resurgee (march1-may 17, 1980)" - Komponist: Timba Harris - Album: neXus I: Cascadia - Länge: 0'0'9
SPRECHER 1:
Revanche pour Sardowa! Revanche pour Sardowa!
ERZÄHLERIN:
Die, die schon lange nach einem Krieg schreien, bekommen nun endlich, was sie wollen. Fünf Tage später, am 19. Juli 1870, erklärt Frankreich Preußen den Krieg.
O-TON 14:
Das ist dieses Überlaufen des Fasses, den letzten Tropfen in dieses französische Fass. Deswegen gehört die Situation zwischen dem dreizehnten und dem 19. Juli 1870, also die Emser Depesche, die Veröffentlichung einer gekürzten Version davon und dann, sechs Tage später die Kriegserklärung Frankreichs, gehört zu den großen Mythen der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach dem Motto, Preußen hat das alles in der Hand gehabt. Der Bismarck hat das choreografiert. Wie ein Genie hat er die Situation gelenkt und oder wie so ein Puppenspieler hat er die Marionetten an seinen Fäden in die Richtung gezogen, wie er das wollte, so kann man den Erfolg im Nachhinein natürlich verklären und zu einer großen Tat hochstilisieren. De facto ist es natürlich so eingetreten. Die Interpretation sollte man nur vielleicht etwas niedriger hängen, denn es gehört ja auch immer Glück dazu.
SPRECHER 2:
Nichtsdestotrotz ist nun der Bündnisfall eingetreten, den Bismarck herbeigesehnt hat, und die süddeutschen Staaten eilen tatsächlich an Preußens Seite. Gemeinsam kämpft nun der deutschsprachige Raum, ohne das Königreich Österreich, gegen einen gemeinsamen Feind.
O-TON 15:
Gegen diesen Zusammenschluss hat sogar Frankreich keine Chance. Frankreich ist eine riesige Militärmacht, aber sie werden so ein bisschen wie Goethes Zauberlehrling von den Taten überrascht, die sie selber angefangen haben, sie kriegen das nicht mehr eingefangen. Und es kommt also zu einem langen Krieg.
Musik 15
Part IIIl - Komponist: Fred Frith - Album: Rivers and Tides - Fred Frith - Länge: 0'33
ERZÄHLERIN:
519.000 Mann umfasst diese geeinigte deutsche Armee zu Kriegsbeginn – eine Übermacht von beinahe 200.000 Soldaten. Mithilfe der Eisenbahn sind die preußisch geführten Truppen rasch im Westen angekommen.
SPRECHER 1:
Der Krieg wird grausam sein. Hunderttausende werden die Kämpfe nicht überleben.
SPRECHER 2:
Und am Ende wird die Gründung des Deutschen Kaiserreichs stehen. Am 18. Januar 1871 im schillernden Spiegelsaal von Versailles. Mit Bismarck, dem so genannten Vater des Reiches.
ERZÄHLERIN:
Mithilfe der Bündnisse und des preußischen Sieges gegen Frankreich gelingt etwas, das lange unmöglich schien: Die Gründung eines geeinten deutschen Nationalstaates, wieder unter preußischer Führung.
O-TON 16:
Aber natürlich die Nationalbewegung, die über viele Jahrzehnte keinen richtigen Kanal gefunden hat, auf dem sie sich durchsetzen konnte. Die ist von Bismarck, wenn Sie so wollen gehijackt worden mit diesem Reichseinigungsprojekt unter preußischer Führung. Und danach, zack, gab es einen Kaiser. Es gab dieses Deutsche Reich, das hat in der ersten Jahreshälfte 1871 sich auch schon eine eigene Reichsverfassung gegeben, und dahinter konnte man dann auch nicht mehr zurücktreten. Verrückt also, das sich jemand, der gegen Revolution war und gegen die Nationalbewegung, die Nationalbewegung dann zu seiner eigenen Sache gemacht hat. Das ist schon eigentlich eine ziemliche Ironie der Geschichte.
Musik 16
"Cutting" - Album: The Outfit (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Alexandre Desplat - Länge: 0'45
ERZÄHLERIN:
Doch das Drama hat ein tragisches Ende für alle Figuren. Die ehemaligen Monarchen, Fürsten und Grafen gehen ohne ihre Staatssouveränität ab und überlassen dem 70-jährigen und unfreiwilligen Kaiser Wilhelm das Rampenlicht. Der sogenannte Vater des Reiches wird neben ihm erst Reichskanzler, und nachdem er die politische Bühne unfreiwillig verlassen hat, eine verfolgte Kultfigur.
Und die Franzosen? Die müssen sich im Off erst einmal neu sortieren. Doch die Demütigung im eigenen Schloss werden sie so schnell nicht vergessen. |