Search

Home > NachDenkSeiten – Die kritische Website > Gut, dann reden wir eben über „Verrat am Vaterland“
Podcast: NachDenkSeiten – Die kritische Website
Episode:

Gut, dann reden wir eben über „Verrat am Vaterland“

Category: News & Politics
Duration: 00:07:42
Publish Date: 2025-12-09 08:00:56
Description:

Politik legt vor, Medien ziehen nach. Wo der Begriff „Vaterland“ in Verbindung mit dem „Dienst an der Waffe“ längst wieder zur Normalität geworden ist, ist auch die Formulierung vom „Verrat am Vaterland“ nicht weit. Die Sprache zeigt die Richtung: Wo die fehlende Bereitschaft, gegebenenfalls Deutschland zu „verteidigen“, mit „Vaterlandsverrat“ in Verbindung gebracht wird, wird es dunkel. Dass die deutsche Russlandpolitik in weiten Teilen seit Langem von historischer Asozialität geprägt ist, ist klar. Nun dringt die politische Verwahrlosung auch noch tiefer in die Sprache ein. Aber gut, dann reden wir eben über den herbeifantasierten „Verrat am Vaterland“. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Verrat am Vaterland“ – nun ist es so weit. Eine Formulierung, von der viele gehofft haben, sie würde vor allem im Zusammenhang mit den Themen Aufrüstung, Militär und Krieg nie mehr in Politik und Medien Einzug halten, ist wieder da. Mit dem Gestank einer langen, erbärmlichen Geschichte im Rücken schleppen sie Politik und Journalismus auf das Feld der öffentlichen Diskussion.

„Verrat am Vaterland“ – noch herrscht kein heißer Krieg zwischen NATO und Russland, aber schon jetzt bestellen Politik und Journalismus das Feld für eine zersetzende Demagogie im Inneren. „Verrat am Vaterland“ – das ist eine der ultimativen Waffen, die in der deutschen Geschichte immer wieder Anwendung fanden, wenn eine nationale Krise vorherrschte und die Politik auf die Manipulation der Massen setzte. Ob im Kaiserreich, im Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik oder dann im Zweiten Weltkrieg: Der angebliche „Verrat am Vaterland“ durchzieht die deutsche Geschichte – von der Dolchstoßlegende über die Novemberrevolution von 1918 bis hin zum Nationalsozialismus ist die Formulierung allgegenwärtig. Offensichtlich gilt es in Erinnerung zu rufen: Pazifisten wie Carl von Ossietzky wurden als Vaterlandsverräter verfolgt, das von Claus Schenk Graf von Stauffenberg ausgeführte Attentat auf Hitler haben die Propagandisten des Dritten Reichs der Öffentlichkeit als den ultimativen „Verrat am Vaterland“ in den Kopf gehämmert.

Heute ist nicht damals. Aber heute ist ein historisches Bewusstsein für eine Sprache, die viel Unheil gebracht hat, notwendiger denn je. Die öffentliche Diskussion um die Wehrpflicht und den Konflikt zwischen NATO und Russland hat jedoch wenig mit Bewusstsein – schon gar nicht mit einem historischen Bewusstsein – zu tun. Viel mehr steckt sie im Sumpf der Propaganda. Die Phrase vom „Verrat am Vaterland“ verseucht den ohnehin längst in weiten Teilen vergifteten, simulierten öffentlichen Diskurs noch weiter.

Nun wollen Politik und Medien über den „Verrat am Vaterland“ sprechen – gut, dann machen wir das eben!

In der Formulierung vom Vaterlandsverrat liegt eine enorme Macht. In ihr wird ein Staat bzw. eine geografische Masse personifiziert. Die Vaterfigur kommt zum Vorschein. Selbstredend ist es nicht etwa der tyrannische, böse Vater, sondern der gute, fürsorgliche Vater, der in der Formulierung angelegt ist. Auf der assoziativen Ebene schwingen unweigerlich die Bilder von Geburt, von Leben und Sein mit. Das „Vaterland“ ist verbunden mit dem Begriff, der Vorstellung und dem Gefühl von Heimat. Bereit sein, das Vaterland zu verteidigen, heißt in dem Raum des Begriffs: den eigenen, liebenden Vater, die geliebte Heimat, das Land seiner Geburt und Herkunft zu verteidigen. All das nicht zu tun, kann nur Verrat sein. Verrat am Vater. Verrat an der Heimat. Verrat an der eigenen Familie, an Freunden und Mitmenschen. Wer solch einen Verrat begeht, der kann, ja: der muss ein Unmensch sein. Das ist das Unausgesprochene, aber eben doch für jeden Offensichtliche, das in der Formulierung vom Verrat am Vaterland mitschwingt.

Und auf dieser Ebene bewegen sich Politik und Journalismus, die meinen, vom Vaterlandsverrat sprechen zu müssen. Interessant ist dabei die Entwicklung.

Allein der Begriff „Vaterland“ galt über Jahrzehnte in der Republik aufgrund der Nazi-Zeit als nationalistisch kontaminiert. Doch plötzlich: Er ist wieder da! Die Formulierung vom „Dienst am Vaterland“ im Zusammenhang mit der Wehrpflicht geht Politikern und Medienvertretern längst runter wie Öl. Und wo Vaterland gesagt wird, ist der „Verrat am Vaterland“ nicht weit.

„Wir werden die Freiwilligkeit attraktiver machen. Wir möchten möglichst viele junge Menschen für den Dienst am Vaterland begeistern“, sagte Jens Spahn am 13. November.

Im September bei der Generaldebatte zum Bundeshaushalt warf der CDU-Politiker gar der AfD aufgrund ihrer politischen Ausrichtung gegenüber Russland „Verrat am Vaterland“ vor.

Der Spiegel-Redakteur Jan Hoffmeister, der öffentlich macht, dass er sich dem Kriegsdienst verweigert, stellt in der Überschrift eines Artikels die Frage: „Bin ich ein Vaterlandsverräter?“

Dass überhaupt eine solche Frage gestellt werden muss, führt uns die Entwicklung vor Augen.

Am Wochenende stellte auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) eine Frage: „Verrät die AfD das deutsche Vaterland?“

In einem von fragiler Intellektualität geprägten Beitrag meint das Blatt, der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen, dass es glaubt, eine „neue Form der Kriegsdienstverweigerung“ in Deutschland ausfindig gemacht zu haben, nämlich: eine rechte. Was das sein soll? Nun: Die FAS wollte von AfD-Politkern wissen, ob sie bereit wären, Deutschland zu verteidigen. Ergebnis: Einige ja, einige nein. Gleich zu Beginn schreibt das Blatt unter Berufung auf einen nicht namentlich genannten AfD-Politiker:

Der AfD-Politiker argumentierte nicht pazifistisch. Er behauptete nicht, ein zu sensibles Gewissen zu haben, um ein Sturmgewehr in die Hand zu nehmen, wie es Kriegsdienstverweigerer früher taten. Er sagte etwas anderes: Diese Bundesrepublik war ihm zu woke, zu links, zu liberal, zu sehr von den Falschen regiert, als dass er für so einen Staat sein Leben oder das seiner Kinder einsetzen wollte.

Das muss sie also sein, die angeblich „rechte“ Kriegsdienstverweigerung.

Nun mag die FAS vielleicht die Frage in der Überschrift mit einem gewissen ironischen Unterton gestellt haben, um die AfD – also jene Partei, die doch oft das Patriotische selbst betont – bloßzustellen, aber das macht es nicht besser.

Die Frage ist gesetzt. Der Begriff „Vaterland“ und die Formulierung „Verrat am Vaterland“ verselbstständigen sich in Deutschland unter der Überschrift „Kriegstüchtigkeit“.

Zu leicht, zu einfach hantieren Politik und Medien mit einem Vorwurf, der gerade in Anbetracht der deutschen Geschichte nicht auf die Bühne der demokratischen Auseinandersetzung gehört.

Wenn jetzt schon vom „Verrat am Vaterland“ gesprochen wird: Wie wird es dann erst im Ernstfall bei einem Krieg aussehen?

Titelbild: Mo Photography Berlin/shutterstock.com

Total Play: 0

Users also like

0 Episodes
KenFM.de - P .. 800+     50+
500+ Episodes
Interview de .. 200+     40+
2K+ Episodes
Deutschlandf .. 1K+     200+
1K+ Episodes
Eine Welt - .. 300+     40+
2K+ Episodes
Europa heute .. 100+     20+